Von der „Revolution“ im Nahverkehr zum modernen Mobilitätsverbund

Als „eine echte Revolution“ bezeichnete der damalige Landeshauptmann Martin Purtscher die Gründung des Verkehrsverbund Vorarlberg beim Eröffnungsfest am 1. Dezember 1991. Die Verkehrsverbund Vorarlberg wurde damals ein österreichweiter Modellcharakter zugeschrieben: Zum ersten Mal konnten in einem österreichischen Bundesland sämtliche Verkehrsmittel mit nur einer Karte benützt werden.

28.01.2022

Der Skibus in Rankweil. Foto: VVV (Bild 2 von 4)
Erste Inserate des Verkehrsverbund Vorarlberg plus neuem Logo. (Bild 3 von 4 )
CD-Konzept des Verkehrsverbundes in der koreanischen Fachzeitschrift "Monthly Design" (Ausgabe Mai 2011, Seite 114 bis 117.) Bild 4 von 4
Am 1. Dezember 1991 wurde die Gründung des Verkehrsverbund Vorarlbergs gefeiert. Die schlechte Qualität dieser Aufnahme steht stellvertretend für den Nebel, der an diesem Tag über Bregenz lag. Foto: VVV (Bild 1 von 4)

Der VVV blickt zurück: gemeinsam mit dem damaligen Landesstatthalter und Verkehrsreferenten Herbert Sausgruber, dem damaligen Vorstand der Wirtschaftsabteilung Karlheinz Rüdisser sowie mit den damaligen Landesbeamten Christian Rankl und Franz Schwerzler

„Die Berufs-Revolutionäre“ 

Alle im Vorarlberger Landtag vertretenen Parteien waren sich damals einig: Es brauchte eine landesweite Lösung - und damit im ersten Schritt einen Tarifverbund und in Folge die Gründung eines Verkehrsverbundes -, um den öffentlichen Verkehr in Vorarlberg zu verbessern. Bemerkenswert auch der politische Konsens darüber, dass das Land dafür umfangreiche Geldmittel in die Hand nehmen musste. Für die Umsetzung waren der damalige Wirtschaftsabteilungs-Vorstand Karlheinz Rüdisser sowie die beiden Landesbeamten Christian Rankl und Franz Schwerzler verantwortlich. „Die Berufs-Revolutionäre“ nannte sie 1991 die NEUE Vorarlberger Tageszeitung. In einer ersten Stufe wurde im Jahr 1989 das Vorarlberger Tarifmodell eingeführt. Gegen Vorlage des sogenannten „Vorarlberg-Halbpreispasses“ wurden Einzelfahrscheine zum halben Preis ausgegeben. 

Auftakt mit großem Fest 

Am 1. Dezember 1991 wurde mit einem Fest am Bregenzer Bahnhof der Start des Verkehrsverbund Vorarlberg gefeiert. Alle Vorarlberger:innen konnten an diesem Tag im ganzen Land mit Bus und Bahn gratis reisen. Nach den offiziellen Feierlichkeiten – so hielten etwa Landeshauptmann Purtscher, Landestatthalter Sausgruber, oder Sektionschef Hofmann vom Verkehrsministerium Reden – lud das Land zu Gratis-Limo, Freibier und Würstl. Die kleinen Gäste erhielten einen Luftballon, die Eisenbahnermusik Feldkirch spielte und die Fahrgäste durften in den Zügen und Bussen Platz nehmen. Der größte Konkurrent des Festes war damals übrigens die Sonne: Viele flohen vor dem Nebel im Rheintal und fuhren lieber hoch in die Berge. Trotzdem ein Erfolg für den Öffentlichen Verkehr: Allein auf das Bödele wurden 18 vollbesetzte Busse verzeichnet. 

Die Vorarlberger Nachrichten berichteten am 2. Dezember 1991 über den Startschuss des Verkehrsverbund Vorarlberg. 

Eine Karte für das ganze Land - in Schilling

Für 4.320 Schilling (im Jahr 1991 umgerechnet ca. 314 Euro) konnte nun jede:r eine Jahresnetzkarte für das ganze Land kaufen. Für 360 Schilling (ca. 26 Euro) konnten Pendler:innen eine Monatsnetzkarte für eine Region erwerben. Familien fuhren mit der neuen Familientageskarte für 150 Schilling (ca. elf Euro) im ganzen Land. Die Einzelfahrkarten wurden um etwa 40 Prozent günstiger.  Gleichzeitig erfolgten die ersten Fahrplan- und Angebotsverbesserungen. In den folgenden Jahren wurde auch in moderne, bequeme, lärm- und abgasarme Busse, moderne Triebwagengarnituren investiert sowie die Haltestellen ansprechender und sicherer gestaltet. 

Bus & Bahn: Ein Logo

Mit dem Start des Tarifverbundes erhielten alle Busse und Schienenfahrzeuge sowie die Haltestellenaushänge, Fahrscheine und Veröffentlichungen durchgehend ein Verbundlogo. Landesweit einheitliche Liniennetz- und Fahrplandarstellungen sollten zudem die Fahrgäste besser informieren. Das Gesamtkonzept beeindruckte auch das Ausland: Delegationen aus Schweden, Norwegen und Luxemburg kamen nach Vorarlberg, um sich die Umsetzung vor Ort anzusehen. Sogar in einer koreanischen Fachzeitung für Marketing fand das Projekt Erwähnung. 

Mehr Öffi-Fahrgäste durch Verkehrsverbund

„Die Einrichtung des Vorarlberger Verkehrsverbund ist eine tolle Sache. Die Information der Medien ist so gut, daß sich vorerst keine Fragen ergeben.“ “Den VVV finde ich ganz toll, endlich einmal etwas für Nicht-Autofahrer. Auch für Familien ist das Angebot ganz prima. Einige Fragen hätte ich aber doch.“ So einige Leserbriefe in der NEUEN Vorarlberger Tageszeitung als Reaktionen auf die Gründung. Insbesondere die günstigen und leicht verständlichen Tarife, der einfache Zugang zu Bus und Bahn (nur mehr eine Fahrkarte) sowie die Spezialangebote kamen gut an. So erhielten zum Beispiel Skifahrer:innen, die mit Öffis ins Skigebiet angereist kamen, eine 20-prozentige Ermäßigung bei den Skiliften. 

Auch Vertreter:innen der Politik zeigten begeistert. Während der damalige Verkehrsreferent Herbert Sausgruber erwartungsgemäß von einem „Meilenstein“ sprach, lobte die grüne Landtagsabgeordnete Jutta Kräutler-Berger Vorarlberg als „Beispiel für andere Bundesländer“. Allerdings sollte die Familienkarte unbürokratischer erhältlich sein. SP-Klubchef Elmar Mayer bezeichnete die Einführung des Tarifverbunds als längst fällig.

Im August 1992 vermeldete der Verkehrsreferent bereits über 5.000 verkaufte Jahreskarten. Kaufmotive waren Umweltbewusstsein und die Möglichkeit, ohne Stress zum Arbeitsplatz zu kommen. Die Gründe unterscheiden sich übrigens kaum von jenen von heute mit rund 70.000 verkauften Jahreskarten. 

Der Erfolg des Tarifverbundes war nicht nur aus den Rückmeldungen der Nutzer:innen abzulesen, sondern auch aus der Entwicklung der Jahreskarten-Verkaufszahlen und der allgemeinen Fahrgastzahlen, sowie auch aus der Entwicklung des Motorisierungsgrades in Vorarlberg. Während die Bestandszunahme von PKW/Kombi von 1981 bis 1992 in Vorarlberg deutlich höher lag als durchschnittlich in Österreich, drehte sich dieses Ergebnis zwischen 1991 und 2000 um. 

Weitere Meilensteine in 30 Jahren 

In den folgenden Jahren wurde das Fahrplanangebot massiv ausgebaut. Ein Meilenstein für die Entwicklung des VVV und den Zuspruch aus der Bevölkerung war die Einführung des 365-Euro-Tickets im Jahr 2014. Weitere wichtige Meilensteine waren die Tarifreform 2002, die Integration der Schüler- und Lehrlingsfreifahrt im Jahr 2003 sowie die Etablierung des VVV als Marke und neues Erscheinungsbild im Jahr 2007. Nach dem Verkehrsverbund wurden außerdem der Stadtbus Feldkirch und der Stadtbus Bregenz, der Landbus Oberes Rheintal und der Landbus Bregenzerwald eingeführt. 

In den folgenden Jahren wurde das Fahrplanangebot massiv ausgebaut. Vor allem Anfang der 2000er Jahr erfuhr das Angebot an Bus- und Zugverbindungen unter dem damaligen VVV-Geschäftsführer Christian Österle einen enormen Zuwachs.

"Die Reise ist noch lange nicht zu Ende": In die Zukunft geblickt

Ich hoffe, dass die Geduld der Steuerzahler nicht nachlässt und wir das Niveau halten können. Den Wunsch nach Verbesserung in Schritten kann man trotzdem äußern.
Herbert Sausgruber
Die Reise ist noch lange nicht zu Ende. (…) Ich wünsche dem Öffentlichen Verkehr in Vorarlberg, dass der in der Vergangenheit besonders sichtbar gewordene Pioniergedanken auch in Zukunft eine wesentliche Antriebsfeder zur Gestaltung des ÖPNV in unserem Land bleibt.
Karlheinz Rüdisser
Für die Zukunft erwarte ich mir eine noch stärkere Ausrichtung als Mobilitätsverbund, der alle Facetten der nachhaltigen Mobilität koordiniert und managt. Ich wünsche dem VVV dafür viel Erfolg, sodass die Kunden bzw. Nutzer mit Bus, Bahn, auf dem Fahrrad, mit dem Schiff, zu Fuß oder per Carsharing verlässlich, sicher und zufrieden ihre Zieldestinationen erreichen.
Christian Rankl
Zunächst wünsche ich auch dem Verkehrsverbund ein baldiges Ende der Corona-Pandemie. Und dann ginge es vor allem um etwas Mut in der Verkehrspolitik. Zum Beispiel bei der Bevorzugung von Linienbussen im Straßenverkehr. Da ginge noch deutlich mehr.
Franz Schwerzler
Der Tarifverbund war eine zukunftsweisende Einrichtung. [...] Kein anderes Bundesland hat in den ländlichen Gebieten ein so gutes Angebot. Wenn man in den Talschaften (Großes Walsertal beispielsweise) noch besser wird, sind Öffis in Vorarlberg wirklich eine Alternative zum Auto. Auch 30 Jahre später ist immer noch viel zu wenig passiert, um den motorisierten Individualverkehr (MIV) einzudämmen. Immer noch werden zusätzliche Straßen gebaut.
Jutta Berger, Journalistin und ehemalige Landtagsabgeordnete der Grünen

Derzeit erfindet der Verkehrsverbund sich wieder neu. Die Vorarlberger Landesregierung hat 2019 im Mobilitätskonzept eine Weiterentwicklung vom Verkehrsverbund Vorarlberg zum „Mobilitätsverbund“ beschrieben. In dem Zusammenhang soll der Verkehrsverbund Vorarlberg die Marke VMOBIL zu einer umfassenden Smart-Mobility-Plattform für sämtliche umweltfreundlichen Mobilitätsformen mit einer starken Außenkommunikation entwickeln. Die Zielformulierung ist dabei ähnlich wie 1991, noch mehr Menschen für den Öffentlichen Verkehr zu begeistern und weiterhin „revolutionär“ im österreichischen Nahverkehr zu sein.

In den kommenden 30 Jahren wird die Digitalisierung ganz wesentlich die Mobilität beeinflussen. (...) Wir werden unsere Mobilität mit dem Smartphone organisieren und damit unterschiedliche Mobilitätsformen miteinander kombinieren. Damit das alles klappt, sorgen wir auch heute schon dafür, dass die Gleise im Rheintal ausgebaut werden, die Takte verdichtet und das Bahn- und Busangebot erweitert wird. Auch das Klimaticket wird seinen Beitrag zum Umstieg auf den ÖV leisten.
Mobilitätslandesrat Johannes Rauch (das gesamte Statement im Video)

Der Skibus in Rankweil. Foto: VVV (Bild 2 von 4)
Erste Inserate des Verkehrsverbund Vorarlberg plus neuem Logo. (Bild 3 von 4 )
CD-Konzept des Verkehrsverbundes in der koreanischen Fachzeitschrift "Monthly Design" (Ausgabe Mai 2011, Seite 114 bis 117.) Bild 4 von 4
Am 1. Dezember 1991 wurde die Gründung des Verkehrsverbund Vorarlbergs gefeiert. Die schlechte Qualität dieser Aufnahme steht stellvertretend für den Nebel, der an diesem Tag über Bregenz lag. Foto: VVV (Bild 1 von 4)